Am Universitätsklinikum Ulm wurde im Rahmen einer internationalen Studie untersucht, wie groß die psychische Belastung in der Bevölkerung in der zweiten und dritten Welle der COVID-19-Pandemie war.
Forschende aus der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie III haben dafür 474 Personen aus dem süddeutschen Raum um Ulm über ein online-Verfahren befragt. Dabei kam heraus, dass zwar über 80 Prozent der Studienteilnehmerinnen und -teilnehmer die eigene psychische Belastung (Stress-Level) als hoch einschätzten. Nur rund 5 Prozent litten nach eigenen Angaben unter einem hohen Maß an Angst. Immerhin zwei Drittel gaben an, gute Bewältigungsstrategien gegen mögliche psychische Folgen zu haben.
Corona und kein Ende: Während ein Großteil der Bevölkerung mit der ersten Welle der COVID-19-Pandemie noch ganz gut klarkam, wie erste Studien bereits gezeigt haben, war die zweite und dritte Welle für viele Menschen schwerer zu ertragen. Medizinerinnen und Mediziner vom Uniklinikum Ulm haben nun im Rahmen einer internationalen Studie für die Phase zwischen Februar und April 2021 untersucht, wie sehr Menschen aus der Region durch coronabedingten Stress und Angst belastet waren. Das Forschungsteam hat anhand einer online-basierten Querschnittsbefragung mit psychisch gesunden Menschen analysiert, welche demografischen und persönlichen Faktoren Art und Ausmaß der psychischen Belastung bestimmen. In der Untersuchung, an der insgesamt 474 Männer und Frauen teilnahmen, wurden auch Bewältigungsstrategien („coping“) im Umgang mit belastenden Erfahrungen abgefragt und nach Gründen unterschiedlicher Stress-Resilienz gesucht.
„Was das Ausmaß der psychischen Belastung angeht, gaben 80,4 Prozent der Befragten ein hohes Maß an Stress an. Unter einem hohen Maß an Angst litten 5,1 Prozent der Studienteilnehmerinnen und -teilnehmer“, sagt Dr. Mohamed Elsayed, wissenschaftlicher Mitarbeiter der Ulmer Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie III und Erstautor der gerade in Frontiers Psychiatry erschienenen Studie. Das heißt, trotz der enormen psychischen Belastung hat nur ein recht kleiner Teil der Bevölkerungsstichprobe signifikante Ängste. Kann dies als ein Hinweis auf gute Bewältigungsstrategien gesehen werden? „Davon gehen wir aus, denn immerhin gaben zwei Drittel an, mit der Belastung gut zurechtzukommen und gute Wege zu kennen, um psychische Folgen wirksam abzufedern“, erläutert Professor Carlos Schönfeldt-Lecuona. Der stellvertretende Leitende Oberarzt aus der Ulmer Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie III war an der Pandemiefolgen-Studie beteiligt.
In multivariaten Analysen wurde außerdem statistisch untersucht, welche Einzelfaktoren und Faktorkombinationen mit einer hohen Stressbelastung beziehungsweise einer starken Angsterfahrung einhergehen. Zu den Stress-assoziierten Faktoren gehören: Frau sein, allein leben, Arbeitsplatzwechsel, finanzielle Lage und das Auftreten mehrerer Komorbiditäten, also Begleiterkrankungen. Statistisch auffällig im Hinblick auf ein hohes Stress-Level waren auch Menschen, die rauchen oder mit einem erhöhten Alkoholkonsum in den letzten sechs Monaten sowie Personen mit Kontakt zu COVID-19-Erkrankten und Beschäftigte im Gesundheitsbereich. Ein hohes Maß an Angst zeigten in der Ulmer Stichprobe vor allem ältere Menschen über 60 Jahren, die alleine leben oder mit Nicht-Familienmitgliedern zusammenwohnen – in dieser Altersgruppe sind das in der Regel Bewohnerinnen und Bewohner von Alten- und Pflegeheimen. Eine statistische Rolle spielt in diesem Zusammenhang auch das Auftreten von Vorerkrankungen und die Inanspruchnahme medizinischer Behandlungen.
Das Forschungsteam hat sich außerdem angesehen, welche Faktoren dafür entscheidend sind, ob Menschen mit psychischen Belastungen gut umgehen können oder nicht. Bei der Auswertung der Umfrage-Daten wurde deutlich, dass Menschen mit einem hohen Angst-Pegel eher nicht über wirksame Bewältigungsstrategien verfügen. Ein weiteres Resultat der Studie: Vor allem Bildung und Einkommen spielen eine Schlüsselrolle dabei, wie gut jemand mit belastenden Situationen in der Pandemie umgehen kann. „So hilft ein hoher Bildungsgrad sowie ein hohes beziehungsweise sicheres, ausreichendes Einkommen dabei, mit der pandemiebedingten psychischen Belastung besser zurechtzukommen und eine stärkere Stress-Resilienz aufzubauen“, erklärt Schönfeldt-Lecuona.
Außerdem schlägt das internationale Autorenteam der Studie vor, für den Fall einer weiteren Pandemie-Welle Vorsorge zu treffen. So sollten rechtzeitig Gruppen identifiziert werden, die ein besonders hohes Risiko für eine starke psychische Belastung tragen. Diese Menschen müssten vorrangig psychiatrisch und psychotherapeutisch unterstützt werden. „Ein systematisches Screening dieser Risikogruppen könnte möglicherweise helfen, belastungsbedingte Folgeerkrankungen zu vermeiden“, so die Forschenden. Beteiligt an der Untersuchung waren Kliniken und Forschungseinrichtungen aus Deutschland, Ägypten, Australien und Indonesien.