Verteidigungsmechanismus gegen SARS-CoV-2 charakterisiert

20. Oktober 2020

Eine menschliche Zelle ist dem neuen Coronavirus (SARS-CoV-2) nicht völlig schutzlos ausgeliefert. Um sich gegen den Erreger zu wehren, stellt sie verschiedene antivirale Faktoren her, die sich zum Beispiel an das Erbgut des Virus anheften und es zerschneiden. Solche Verteidigungsmechanismen könnten eine Rolle bei neuen COVID-19-Therapien spielen. Jetzt haben Forschende aus Virologie und Mikrobiologie der Ulmer Universitätsmedizin um Professor Frank Kirchhoff einen vielversprechenden zellulären Faktor charakterisiert. Gemeinsam mit Kolleginnen und Kollegen des Londoner King’s College beschreiben sie die Effekte von „ZAP“ im Fachjournal „mBio“.

Mit einer derartigen antiviralen Wirkung hatte die Erstautorin der Studie, Rayhane Nchioua, nicht gerechnet: „Wir waren schon überrascht, wie effektiv dieser zelluläre Faktor SARS-CoV-2 hemmt und hoffen, dass unsere Ergebnisse helfen werden, Immuntherapien gegen dieses Virus zu verbessern“, sagt die Doktorandin am Institut für Molekulare Virologie des Universitätsklinikums Ulm.

SARS-CoV-2 hat sich bereits dem Menschen angepasst

Und so funktioniert die zelleigene Verteidigungsstrategie: Ein Protein namens ZAP (zinc finger antiviral protein) erkennt bestimmte Motive, so genannte CpG-Dinukleotide, in Ribonukleinsäuren (RNAs), die für die Produktion viraler und zellulärer Eiweiße notwendig sind: Hier folgt ein Nukleotid mit der Base Guanin direkt auf eines mit Cytosin. In menschlichen RNAs kommen solche Stellen viel seltener vor als bei den meisten Viren und Bakterien. So kann eine menschliche Zelle unterscheiden, welche RNA-Moleküle „eigen“ und welche „fremd“ – und deshalb zu zerschneiden – sind. Ein Vergleich mit den Sequenzen von mehr als 200 anderen Coronaviren ergab, dass SARS-CoV-2 sowie seine engsten Verwandten, die aus Fledermäusen isoliert wurden, ungewöhnlich wenige CpG-Stellen aufweisen. Das Coronavirus, das für die aktuelle Pandemie verantwortlich ist, war somit offenbar bereits an den Menschen angepasst.

„Viren versuchen, ihre Wirte nachzuahmen“, erklärt Kirchhoff, Seniorautor der Studie. So laufen sie weniger Gefahr, von den Waffen des Immunsystems – etwa den molekularen Scheren der Zelle – angegriffen zu werden. Das gelingt ihnen aber nicht vollständig. In Experimenten mit menschlichen Lungenzelllinien konnten die Forschenden zeigen, dass ZAP die Vermehrung von SARS-CoV-2 hemmt. Und das, obwohl das Virus dem Protein nur wenige Angriffsstellen bietet. „Entscheidend ist nicht der Durchschnitt, sondern das schwächste Glied in der Kette“, sagt Kirchhoff. Das bedeutet: Es ist nicht nur maßgeblich, wie viele CpG-Stellen virale RNAs durchschnittlich haben, sondern auch wo sich diese befinden. Bei SARS-CoV-2 treten sie offenbar gehäuft in einigen Bereichen auf, die für die Vermehrung des Virus unentbehrlich sind.

Interferone verstärken antivirale Wirkung

Noch deutlicher zeigte sich der antivirale Effekt von ZAP, wenn die Forschenden Interferone zu den Zellen gaben. Diese Proteine stellen eine zentrale Komponente des angeborenen Immunsystems dar. Sie kurbeln zahlreiche Abwehrmechanismen an – zum Beispiel die Herstellung von ZAP, wie das Team beobachtete. Reduzierten sie die Produktion von ZAP hingegen mittels sogenannter siRNAs, so konnte sich das Virus wieder besser in den Zellkulturen vermehren. Dies spricht dafür, dass ZAP eine wichtige Rolle in der körpereigenen Immunantwort spielt.

Interferone werden bereits als Medikamente gegen Virusinfektionen, etwa gegen Hepatitis B und C, eingesetzt. Es war bereits bekannt, dass SARS-CoV-2 empfindlich auf Interferone reagiert. Welcher Typ das Virus am effektivsten bekämpft und welche Faktoren daran beteiligt sind, war bislang allerdings unklar. Die stärksten Effekte beobachten die Virologinnen und Virologen mit Interferon gamma – und diese führten auch zur größten Erhöhung der ZAP-Produktion. Deshalb schlagen sie vor, dieses Molekül bei der Entwicklung von Medikamenten gegen COVID-19 in Erwägung zu ziehen.

Am Institut für Molekulare Virologie der Ulmer Universitätsmedizin haben die Arbeitsgruppen von Professor Frank Kirchhoff, Dr. Konstantin Sparrer, Professor Jan Münch und Juniorprofessor Dr. Daniel Sauter zu der Studie beigetragen. Zudem waren Professor Steffen Stenger (Institut für Medizinische Mikrobiologie und Hygiene, Universitätsklinikum Ulm) sowie Kollegen vom King’s College beteiligt.

Die aktuelle Studie wurde vor allem mit Mitteln der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) realisiert, insbesondere aus dem Sonderforschungsbereich 1279 der Universität Ulm (Nutzung des menschlichen Peptidoms zur Entwicklung neuer antimikrobieller und anti-Krebs Therapeutika). Weitere Fördergelder stammten aus dem EU-Projekt Fight-nCoV sowie aus der Forschungsförderung des MWK zu COVID-19 und aus BMBF-Projekten (Restrict SARS-CoV-2, protACT).

 

Rayhane Nchioua, Erstautorin der jetzt erschienenen Studie (Foto: privat)
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