Zapfensande als Erdbebenanzeiger: HNU-Forscher publizieren in Nature Communications

19. November 2021

Bislang galten sogenannte Zapfensande – Sedimentstrukturen in Sandstein, wie sie sich etwa bei Biberach an der Riß und Ulm finden – als rätselhafte, aber eher unspektakuläre Gesteinsbildungen. Die HNU-Wissenschaftler PD Dr. Elmar Buchner und Dr. Martin Schmieder konnten gemeinsam mit ihrem Biberacher Kollegen Dr. Volker Sach nun erstmals zeigen, dass die Entstehung von Zapfensanden auf starke Erdbeben zurückzuführen ist – eine Entdeckung mit großer Tragweite für das Ressourcen – und Risikomanagement, denn diese Erkenntnisse können künftig dazu beitragen, das Gefahrenpotenzial seismischer Strukturen besser einzuschätzen und entsprechende Vorkehrungen zu treffen. Die Forschungsergebnisse wurden soeben im hochrangigen Journal Nature Communications veröffentlicht.

Die Geowissenschaftler stellten fest, dass Zapfensande (engl. „Sand Spikes“) vor allem in Gegenden mit einem hohen Potenzial für seismische Erschütterungen vorkommen und durch ein komplexes Zusammenspiel von Sand, Wasser, Karbonat und Erdbeben entstehen. Ihre Ausgangsbeobachtung machten Buchner, Sach und Schmieder im Nordalpinen Vorlandbecken („Molassebecken“) rund um Ravensburg, Biberach, Ulm und Günzburg: Die dort aufgefundenen Sandsteingebilde weisen Verbindungen zum Ries-Ereignis auf, einem Meteoriteneinschlag vor knapp 15 Millionen Jahren, der das zwischen Schwäbischer und Fränkischer Alb verortete Kratergebiet Nördlinger Ries hinterließ.

Zapfensande als richtungsweisende Erdbebenanzeiger
Besonders aufschlussreich ist dabei die Ausrichtung der Gesteinsgebilde: Zapfensande, deren Größe von einigen wenigen Zentimetern bis hin zu mehr als einem Meter reicht, haben typischerweise einen kugeligen Kopf an einem sich nach außen hin verjüngenden Stiel. Im Nordalpinen Vorlandbecken sind die Stiele der meisten Zapfensande nach Süden hin ausgerichtet und zeigen damit in eine dem Rieskrater entgegengesetzte Richtung. Auffallend ähnliche Exemplare fanden die Forscher am Mount Signal in Südkalifornien, USA, unweit des San-Andreas-Grabens – jener 1.400 km langen Verwerfung, an der die Pazifische und die Nordamerikanische Platte aneinander vorbeidriften. Diese Region ist seismisch äußerst aktiv und zählt zu den besonders erdbebengefährdeten Regionen der Erde. Auch dort weisen die Stiele nahezu aller Sand Spikes von ihrer seismischen Quelle weg.

Buchner, Sach und Schmieder konnten nachweisen, dass sich Zapfensande bei seismischen Beben mit einer Magnitude, die deutlich über 7 – vermutlich bei 8 oder mehr – liegt, ausbilden. Damit lässt das Vorkommen dieser Sedimentstrukturen klare Rückschlüsse darauf zu, wie stark vergangene Erdbeben in dieser Gegend gewesen sein müssen. Entlang des San-Andreas-Grabens wurden bislang etwa Beben knapp über 7 gemessen; die dort aufgegefunden Sand Spikes zeigen aber, dass es in diesem Bereich in jüngerer geologischer Vergangenheit Schwerstbeben gegeben haben muss. Die Erkenntnisse sind daher weltweit für erdbebengefährdete Regionen, in denen Zapfensande vorkommen, von großem Interesse, so u.a. für Italien, Frankreich oder Teile Australiens.

Tool zur Einstufung von Geo-Risiken
Mit ihren Forschungsergebnissen stellen die HNU-Wissenschaftler ein Instrument zur Verfügung, das es künftig ermöglicht, das Gefahrenpotenzial seismischer Strukturen einzuschätzen und gegebenenfalls Vorkehrungen zu treffen, etwa in Bezug auf bauliche Sicherheitsstandards. Bei weltweit etwa 20.000 Erdbebentodesopfern im Jahr ist dieses Tool für Ressourcen- und Risikomanagement von globalem Interesse.



Zur Publikation

Buchner, E., Sach, V.J., and Schmieder M. Sand spikes pinpoint powerful palaeoseismicity. Nature Communications 12: 6731 (2021).
Online unter:
https://www.nature.com/articles/s41467-021-27061-6.pdf.


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Ansprechpartner

Priv.-Doz. Dr. Elmar Buchner

Dr. Martin Schmieder

Foto: Volker J. Sach
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