Auf die Wirtschaft in der IHK-Region Ulm wirken im Frühjahr 2022 gegenläufige Kräfte ein. Auf der einen Seite ermöglicht die weitgehende Aufhebung der Corona-Beschränkungen den betroffenen Branchen endlich wieder eine normale Geschäftstätigkeit: Einzelhändler, Hoteliers und Gastronomen können ihre Pforten uneingeschränkt öffnen, Personen-Dienstleister ihre Kapazitäten stärker auslasten und Veranstalter nach langer Pause wieder größere Events organisieren. Sie hoffen auf eine rege Nachfrage aufgrund der in der Pandemie aufgestauten privaten Kaufkraft und des langen, erzwungenen Verzichts auf diese Angebote.
„Auf der anderen Seite wirken die Invasion Russlands in die Ukraine sowie die daraufhin verhängten und mehrfach verschärften Sanktionen wie ein kräftiger Tritt auf die Konjunkturbremse. Lieferketten werden unterbrochen, Lieferengpässe bei Materialen und Vorprodukten nehmen zu, getrieben durch auf hohem Niveau weiter anziehende Energie- und Rohstoffpreise steigt die Inflation immer stärker an. Die stark zunehmende Verunsicherung in Wirtschaft und Gesellschaft aufgrund der latenten Gefahr einer Eskalation des Ukraine-Krieges sowie einer Beeinträchtigung der Versorgungssicherheit bei der Energie drückt die Stimmung zusätzlich. Hinzu kommen die Auswirkungen der Zero-Covid-Politik in China“, sagt IHK-Präsident Dr. Jan Stefan Roell. „In der Summe überwiegen die restriktiven Einflüsse. Die zu Jahresbeginn noch erwartete, kräftige Erholung der regionalen Wirtschaft rückt in weite Ferne.“ Der IHK-Konjunkturklimaindex, ein Maß für die Lage und die Erwartungen der Unternehmen, gibt deutlich um 14 Punkte nach und liegt mit 114 Zählern nun wieder spürbar unter dem 10-Jahresdurchschnitt.
Die aktuellen Lageeinschätzungen bleiben dabei stabil. Wie schon zu Jahresbeginn meldet aktuell fast jedes zweite Unternehmen einen guten Verlauf seiner Geschäfte. Vier von zehn Betrieben befinden sich in einer befriedigenden Lage und jedem neunten Unternehmen geht es schlecht.
Von der zu Jahresbeginn noch vorhandenen leichten Zuversicht ist angesichts der gestiegenen Risiken hingegen nicht mehr viel übriggeblieben. Eine Beeinträchtigung ihrer Geschäfte durch weiter steigende Energiepreise befürchten mehr als drei Viertel aller Unternehmen, ein Anstieg um 24 Prozentpunkte gegenüber dem Jahresauftakt. Zwei Drittel der Betriebe bereiten steigende Rohstoffkosten Sorgen (+14 Prozentpunkte). Auch die Entwicklung der Nachfrage geben wieder mehr Betriebe als Risiko an als zuvor. Der Mangel an Fachkräften droht in sechs von zehn Unternehmen die Geschäftsentwicklung zu bremsen.
Der Blick der regionalen Wirtschaft auf die nächsten zwölf Monate fällt in der Folge deutlich trüber aus als noch zu Jahresbeginn. Zwar ist der Anteil der Optimisten nur um fünf Prozentpunkte auf aktuell 24 Prozent zurückgegangen. Die Zahl der Pessimisten hat sich hingegen auf 30 Prozent mehr als verdreifacht. Somit dominiert per Saldo die Skepsis. Insbesondere rechnen die auslandsorientierten Unternehmen mit einer deutlich abgeschwächten Entwicklung ihrer Exporte. Etwas geringere aber weiterhin kräftige Impulse verspricht sich die Industrie allein aus Nordamerika. Die Nachfrage aus Europa verliert kräftig an Dynamik. Das Asiengeschäft bleibt nur noch stabil.
Auf das Investitionsgeschehen und die Beschäftigungspläne schlagen die reduzierte Erwartungen im gesamtwirtschaftlichen Durchschnitt vorerst noch nicht durch. Der etwas abgeschwächten Investitionsdynamik in der Industrie stehen leicht steigende Budgets für Inlandsinvestitionen der Dienstleister gegenüber. Investitionen in die Energieeffizienz und den Umweltschutz haben angesichts der explodierenden Energiekosten als Motiv spürbar an Bedeutung gewonnen. Ihren Personalbestand wollen die meisten Unternehmen konstant halten. 23 Prozent wollen zusätzliche Stellen schaffen, 14 Prozent sehen sich zu einem Personalabbau gezwungen.
„Insgesamt ist die Verunsicherung in der Wirtschaft groß. Die Politik muss daher mit Bedacht und Weitsicht vorgehen. Ein Gas-Embargo würde zum Beispiel nicht nur die energieintensive Industrie treffen, sondern die Wirtschaft in ihrer ganzen Breite. Denn die aktuelle Krise hat verdeutlicht, dass nahezu alle Unternehmen über Produktions- und Logistikketten eng miteinander verwoben sind“, sagt Roell.
Industrie erhält Dämpfer
Der Krieg in der Ukraine bedeutet für die produzierenden Betriebe weiter steigende Energie- und Rohstoffpreise, zusätzliche Lieferengpässe und schwindende Absatzmöglichkeiten. Die abflauende Nachfrage aus dem Ausland kann die hiesige Industrie bislang jedoch dank gut gefüllter Auftragsbücher wegstecken. Zudem bleibt die Inlandsnachfrage vorerst noch rege. Die Kapazitätsauslastung verharrt auf hohem Niveau (87 Prozent). Ihre aktuelle Situation bewerten 58 Prozent der Industrieunternehmen als gut. Allerdings ist die Zahl der Betriebe mit schlecht laufenden Geschäften leicht gestiegen.
Erfolgreich durch das rauere Fahrwasser zu navigieren dürfte in den kommenden Monaten zudem zu einer immer schwierigeren Herausforderung werden. Sorgen bereiten der regionalen Industrie vor allem die kräftig gestiegenen Rohstoff- und Energiekosten. Noch teurer käme ein Gas-Lieferstopp oder -Embargo großen Teilen der Industrie zu stehen, da es spätestens im nächsten Winter zu Abschaltungen kommen könnte. Auch die Wiederherstellung bzw. der Aufbau neuer Lieferketten wird länger dauern als erhofft. Die weltweit gestiegene Verunsicherung dämpft zudem die Exportperspektiven. Mit steigenden Ausfuhren rechnet nur noch ein Viertel der Industrieunternehmen, fast halb so viele wie zu Jahresbeginn. Der Anteil der Betriebe, die Exportrückgänge befürchten, kletterte von vier auf 19 Prozent. Kräftige Nachfrageimpulse kommen nur noch aus Nordamerika. Die Exporte in die Eurozone werden deutlich an Dynamik einbüßen. Der Absatz in der restlichen Welt stagniert bestenfalls. Die ausgeprägte Zuversicht zu Jahresbeginn ist in der Folge verflogen. Zwar blicken weiterhin 30 Prozent der Industrieunternehmen zuversichtlich nach vorn, 31 Prozent erwarten jedoch eine Verschlechterung ihrer Geschäfte. Das schlägt sich auch einer verringerten Investitionsdynamik nieder. Der Personalbedarf bleibt jedoch ansteigend.
Einzelhandel weiter unter Druck
Die Hoffnung vieler Einzelhändler, mit der Aufhebung der meisten Corona-Schutzmaßnahmen im Frühjahr endlich durchstarten zu können, erfüllt sich vorerst nicht. Die hohe Inflation und der Ukraine-Krieg trüben die Kauflaune: Der Anteil der regionalen Einzelhändler, die ihrer Kundschaft ein zurückhaltendes Kaufverhalten attestieren, ist von 55 Prozent zu Beginn des Jahres auf 73 Prozent gestiegen. Die Umsätze sind in den ersten Monaten des Jahres im Vergleich zum Vorjahr kaum gestiegen, ganz im Gegensatz zu den Kosten. Das belastet die Erträge vieler Einzelhändler und eine baldige Besserung ist nicht in Sicht. Zwar verfügen die privaten Haushalte pandemiebedingt über zusätzliche Ersparnisse, jedoch dürften sie einen Großteil davon für die bevorstehenden stark erhöhten Nebenkostenabrechnungen zurückhalten. Zuversichtlich blickt in der Folge kein Einzelhändler nach vorn. Etwas mehr als die Hälfte rechnen mit einer gleichbleibenden Geschäftsentwicklung, der Rest befürchtet Verschlechterungen.
Auch der Großhandel spürt die Auswirkungen des Ukraine-Krieges, das Auslandsgeschäft hat jegliche Dynamik eingebüßt. Jedoch entwickelt sich der Inlandsabsatz dank einer noch anhaltend kräftigen Nachfrage aus der heimischen Industrie weiterhin positiv. Trotz eines merklichen Rückganges bleibt die Zufriedenheit im Großhandel somit auf hohem Niveau. Der Blick nach vorn fällt aufgrund zunehmender Risiken deutlich zurückhaltender aus: Über steigende Energie- und Rohstoffkosten machen sich aktuell deutlich mehr Großhändler Sorgen als noch zu Jahresbeginn. Trotzdem will der Großhandel seine Investitionsausgaben weiter erhöhen, vor allem um die Digitalisierung seiner Geschäftsprozesse sowie Vertriebs- und andere Innovation voran zu treiben. Auch der Personalbedarf bleibt ansteigend.
Dienstleister: Kein einheitliches Stimmungsbild
Auch den Dienstleistungssektor durchlaufen gegenläufige konjunkturelle Strömungen. Das Verkehrsgewerbe leidet besonders unter den gestiegenen Spritpreisen. Und auch die unternehmensnahen Dienstleister schätzen ihre aktuelle Situation auf hohem Niveau etwas kritischer ein als zu Jahresbeginn. Die kontaktintensiven Serviceanbieter – Event- und Messeveranstalter, Wellness, Hotels, Gaststätten, Tourismus, Kultur sowie Freizeit – können hingegen mit der Aufhebung der meisten Infektionsschutzmaßnahmen ihre Kapazitäten endlich wieder stärker nutzen. Insgesamt ergibt sich daraus eine leicht verbesserte aktuelle Lage. Der Anteil der Dienstleister, denen es schlecht geht ist um fünf Prozentpunkte auf 13 Prozent zurückgegangen. 45 Prozent befinden sich in einer befriedigenden Situation (+4 Prozentpunkte), 42 Prozent geht es gut (+1 Prozentpunkt). Dass die aktuelle Situation nicht noch besser bewertet wird, dürfte vor allem an den kräftig gestiegenen Energie- und Rohstoffkosten (Strom, Gas, Lebensmittel etc.) liegen.
Die weitere Preisentwicklung bereitet zwei Drittel der Service-Unternehmen auch für die kommenden Monate einiges an Kopfzerbrechen. Noch häufiger als Geschäftsrisiko wird lediglich der Fachkräftemangel genannt. Insbesondere die von vorherigen Lockdowns betroffenen Unternehmen befürchten, dass die Mehrzahl der Fachkräfte, die sie mangels Geschäft in der Pandemie haben ziehen lassen müssen, nicht wieder zurückkehren werden. Auch die Nachfrageentwicklung wird wieder deutlich häufiger als Risiko genannt. Das schlägt sich in gedämpften Geschäftserwartungen nieder. Sechs von zehn Dienstleistern gehen von in etwa gleichbleibenden Geschäften aus, 21 Prozent rechnen mit Verbesserungen, 20 Prozent sind pessimistisch. Die Investitionspläne haben sich auf niedrigem Niveau leicht verbessert, die kurzfristige Personalplanung ist weiterhin von Vorsicht geprägt.