Forschenden des Uniklinikums und der Universität Ulm ist es gelungen, erstmals sowohl exokrine als auch endokrine Organoide der Bauchspeicheldrüse zu „züchten“. Die Pankreaszellen wurden aus pluripotenten Stammzellen entwickelt, die zu einer besonderen Pankreas-Vorläuferzelle differenziert wurden. In der Diabetes- und Krebsforschung kann die „künstliche Bauchspeicheldrüse“ wertvolle Dienste leisten – sowohl in der Diagnostik als auch in der Therapie. Veröffentlicht wurden die Ergebnisse der Studie in der Fachzeitschrift Theranostics.
Organoide sind künstliche Mini-Organe, die die biologische Funktion der natürlichen Organe nachbilden sollen. Es gibt sie schon für Leber, Niere, Gehirn und Darm. Nach jahrelanger Arbeit haben Ulmer Forschende es fertiggebracht, Organoide der drei relevanten Zelltypen der Bauchspeicheldrüse zu „züchten“. Dazu gehören einerseits die endokrinen Zellen, die in der Bauchspeicheldrüse für die Produktion und Ausschüttung der blutzuckerregulierenden Hormone Insulin und Glukagon verantwortlich sind. Andererseits konnten sie die gleichen Pankreas-Vorläuferzellen auch zu Zellen mit sogenannter exokriner Funktion ausdifferenzieren. Dazu gehören insbesondere die sogenannten azinären Zellen, die im Pankreas für die Produktion und Sekretion von Verdauungssäften verantwortlich sind. „Bisher gab es keinerlei verlässliche Methoden, um überhaupt Azinuszellen ‚herzustellen‘, geschweige denn diese simultan aus den gleichen Vorläuferzellen hervorzubringen wie die beiden anderen Zelltypen“, betont Professor Alexander Kleger, Direktor des Instituts für Molekulare Onkologie und Stammzellbiologie am Universitätsklinikum Ulm, der die Studie geleitet hat. Der Ulmer Forscher wurde jüngst von der Deutschen Krebsgesellschaft mit dem renommierten Deutschen Krebspreis für „Experimentelle Forschung“ ausgezeichnet.
Das Ulmer Forschungsteam, an dem noch weitere Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler des Universitätsklinikum und der Universität beteiligt waren, hat damit etwas erreicht, das bislang noch nicht möglich war: die Modellierung der Embryonalentwicklung des Pankreas in einem in vitro System. Hierfür wurde ein Modell entwickelt, das sowohl in der Diabetes- als auch in der Krebsforschung neue grundlegende Erkenntnisse zutage bringen könnte. „Durch gezieltes An- und Abschalten von Signalwegen, die für die Pankreasentwicklung eine Rolle spielen, können wir schrittweise die Stadien der Embryonalentwicklung in der Zellkultur nachahmen, um so die jeweiligen Zellarten der Bauchspeicheldrüse zu züchten“, so Sarah Merz, Erstautorin der Studie und wissenschaftliche Mitarbeiterin an Klegers Institut.
Für die Generierung der verschiedenen Pankreaszelltypen wurden aus humanen pluripotenten Stammzellen Pankreas-Vorläuferzellen gewonnen. Diese Vorläuferpopulation ist durch eine hohe Expression des Markers Glykoprotein 2 (GP2) definiert. Durch die spezifische GP2-Anreicherung haben diese Vorläuferzellen die Fähigkeit, sich gleichzeitig in drei verschiedene Zelllinien der Bauchspeicheldrüse zu entwickeln: in endokrine, duktale und azinäre Zellen. Durch GP2-Anreicherung ist es erstmals überhaupt gelungen, aus einer gemeinsamen Vorläuferpopulation auch Azinuszellen zu gewinnen.
„Mit diesem Modell, das alle drei Zelllinien des Pankreas umfasst, können die Auswirkungen von Mutationen zelltypspezifisch untersucht werden“, so Kleger. Dies bringt große Vorteile für die Forschung zu Pankreastumoren. Da 98 Prozent aller Karzinome der Bauchspeicheldrüse den exokrinen Teil des Pankreas betreffen, sei es umso wichtiger, in der Forschung auf Modellorganoide zurückgreifen zu können, die auch exokrine Zellen umfassen. Beim duktalen Adenokarzinom, das wegen seiner hohen Sterblichkeitsrate gefürchtet ist, ist insbesondere das Drüsengewebe betroffen. Dieses humane Organmodell könnte möglicherweise in Zukunft auch dabei helfen, Tierversuche in der Diabetes- und Pankreasforschung weiter zu reduzieren.