Klänge sehen, Wissenschaft vertonen
Christine Söffing folgt auf Dieter Trüstedt

24. Februar 2011

Christine Söffing ist das neue Gesicht an der Spitze des Musischen Zentrums (MUZ) und eine alte Bekannte. „Seit 1998 bin ich bei der Gruppe ,Experimentelle Musik und Kunst’, kurz  EMU aktiv. Als im letzten Sommer Fred Ayer starb und Dr. Dieter Trüstedt seinen Rücktritt angekündigt hat, erschien es sinnvoll, einem MUZ-Kenner die Leitung zu übertragen“, erklärt die 46-Jährige. Jetzt ist sie also offizielle Hausherrin im Musischen Dorf und Ansprechpartnerin für künstlerische Gruppen an der Universität Ulm. Weiterhin fallen die Organisation des Musischen Tags und die jährliche Tontäfelchen-Aktion in ihren Zuständigkeitsbereich. Die meiste Zeit verbringt sie jedoch damit, Kunstprojekte auszudenken und zu organisieren.
Thematisch ziehen sich zwei „rote Fäden“ durch Söffings Wirken: Die Inspiration durch naturwissenschaftliche Phänomene und Synästhesie. Ersteres ist vor allem der Ausrichtung der hiesigen Universität geschuldet, die Synästhesie bestimmt seit mehr als 25 Jahren Christine Söffings Leben. Bei dieser Sonderbegabung  löst die Wahrnehmung eines Sinnesreizes unfreiwillig  und passiv sekundäre Wahrnehmungen  aus. Betroffene können also Buchstaben schmecken  oder zum Beispiel, wie im Fall von Christine Söffing, beim Hören  Farben und Formen erleben: „Nach dem Abitur hat sich meine Freundin auf die Aufnahmeprüfung an einer Musikhochschule vorbereitet und mich ständig gefragt, wie die Stücke klingen. Ich habe etwa ,grün mit gelben Dreiecken’ geantwortet. In musikwissenschaftlicher Literatur sind wir dann auf das Phänomen Synästhesie gestoßen.“
Inzwischen hat Christine Söffing die Deutsche Synästhesiegesellschaft mitbegründet und setzt ihre Sonderbegabung bei MUZ-Projekten ein. Beim Musischen Tag konnte die Gruppe EMU mit „Klingenden Düften“ überzeugen. Zurzeit arbeitet das Ensemble an einem sogenannten Flash-Konzert, bei dem Tonfolgen von farbigen Projektionen begleitet werden. Auf diese Weise kann das Publikum Synästhesie zumindest teilweise nachempfinden.
Allerdings lebt Christine Söffing, die in ihrer Jugend niemals Musikunterricht hatte,  ihre kreative Ader nicht nur in klanglichen Welten aus, sondern malt und fotografiert auch leidenschaftlich gerne. „Meine Klassenkameraden haben mir entweder eine Karriere als Malerin oder Mathematikerin vorausgesagt“, schmunzelt Christine Söffing. Tatsächlich entschied sich die gebürtige Westfälin für ein Studium der Kunstgeschichte, Germanistik, Informatik, Psychologie, Kunsterziehung sowie Pädagogik.
Nach dem Abschluss als Diplom-Pädagogin folgte eine Zeit als freie Künstlerin und Dozentin: Unter anderem hat Söffing für die 850-Jahres Feier der Stadt München überdimensionale Blumen auf einen Kiesstrand gemalt, außerdem Videoinstallationen, Klanginstallationen sowie Skulpturen angefertigt. Ab April wird im Nationalmuseum Luxemburg ein synästhetischer Film gezeigt, den Söffing zu einem Bild von Wassily Kandinsky angefertigt hat. „Immer wieder bitten mich Wissenschaftler, ihre Forschungsergebnisse in eine künstlerische Form zu bringen. Mit der Gruppe EMU haben wir zum Beispiel Bilder aus der hiesigen Elektronenmikroskopie vertont. Aktuell denke ich über eine Ausstellung zur Fledermausforschung nach“, so die Neu-Ulmerin.
Die Frage nach ihren Hobbies macht Christine Söffing stutzig: „Keine Ahnung, ich habe auch zuhause ein Atelier, meine Synästhesiewerkstatt, bei mir gehen Arbeit und Freizeit ineinander über“, erwidert sie. Diese Devise scheint auch für die Urlaubszeit zu gelten: Aktuell unternimmt Söffing eine Reise nach Vietnam, bei der sie Klänge aufnimmt und einheimische Musikinstrumente kennenlernt. Allem Fernweh zum Trotz will die neue Leiterin der Universität Ulm und dem Musischen Zentrum noch lange erhalten bleiben. „Die Atmosphäre im Musischen Dorf ist fantastisch. Es macht Spaß hier Neues zu schaffen.“
Von Annika Bingmann

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