Radioimmuntherapie bei Kindern:
Geringere Nebenwirkungen und höhere Heilungschancen bei Knochenmarktransplantation

14. März 2011

Wissenschaftler der Universitätsklinik für Kinder- und Jugendmedizin Ulm haben in Zusammenarbeit mit den Abteilungen Nuklearmedizin und Innere Medizin III des Klinikums ein Verfahren entwickelt, mittels radioaktiv markierter Antikörper das Knochenmark der Patienten gezielt zu bestrahlen, um damit Nebenwirkungen der konventionellen Vorbereitung von Knochenmark- oder Stammzelltransplantationen zu vermeiden. Weltweit erstmals übrigens bei Kindern und Jugendlichen mit nicht bösartigem Erkrankungen. „Wir haben damit einmal mehr den Ruf unserer Klinik als innovatives Zentrum auf diesem Sektor untermauert“, sagt Privatdozent Dr. Ansgar Schulz, Leiter des Bereichs Knochenmarktransplantation und Leiter der Studie, an der auch Mediziner aus Innsbruck und Dresden beteiligt waren. Veröffentlicht hat sie jetzt die renommierte internationale Fachzeitschrift „Blood“.
Die Knochenmark- oder Stammzelltransplantation ist bekanntlich bei vielen lebensbedrohlichen Erkrankungen die einzige Heilungschance. Bei bösartigen Leukämien etwa oder angeborenen Erkrankungen des Knochenmarks wie schweren Immundefekten und Thalassämien. Aber: Damit die gesunden Knochenmark-Stammzellen des Spenders bei Patienten anwachsen können, ist vorab eine Zerstörung des kranken Knochenmarks notwendig. Diese so genannte Konditionierung erfolgt bislang meist über eine hoch dosierte Chemotherapie oder eine Ganzkörperbestrahlung, mitunter auch durch eine Kombination beider Verfahren.
„Sie sind jedoch oft mit schwerwiegenden Nebenwirkungen verbunden, die insbesondere Kinder sehr belasten und auch das Scheitern und den Tod der Patienten im Rahmen der Transplantation bewirken können“, weiß Dr. Schulz aus 16 Jahren Erfahrung in diesem Bereich. Das führe dazu, dass die Transplantation insbesondere bei Kindern mit Risikofaktoren wie Infektionen oder Organschäden nur mit geringen Erfolgsaussichten oder gar nicht durchführbar sei, erklärt der Ulmer Kinderfacharzt. Hier verspreche die Radioimmuntherapie mit speziellen, vom Ulmer Nuklearmediziner Professor Sven Reske entwickelten Antikörpern, nun Abhilfe.
Und einen enormen Fortschritt für die Betroffenen dazu. Denn: „Der Nebenwirkungen wegen ist die Transplantation für viele Kinder ein Weg durch die Hölle“, macht Ansgar Schulz deutlich und nennt einen weiteren Vorteil der Radioimmuntherapie: „Damit bekommen nun auch Kinder eine Chance auf eine Heilung durch eine Transplantation, die bisher dafür zu krank waren.“ Schulz zufolge stützt sich die Studie auf die Behandlung von 30 Kindern und jungen Erwachsenen im Zeitraum von dreieinhalb Jahren.
Patienten mit einem hohen Rückfall-Risiko seien dabei zusätzlich mit einem Standardverfahren behandelt worden, um den antileukämischen Effekt der Konditionierung zu verstärken. Bei sehr kranken Patienten wiederum sei die Radioimmuntherapie mit einer intensitäts-reduzierten Konditionierung kombiniert worden, um deren Nebenwirkungen zu vermindern. Wichtig indes: „Bei allen Patienten ist eine bevorzugte Bestrahlung des Knochenmarks erzielt worden“, berichtet der Wissenschaftler. Ebenso von „mit 13 Prozent erfreulich geringen Sterblichkeiten durch Nebenwirkungen der Behandlung bezogen auf die Risikofaktoren der Patienten“. Demzufolge überlebten 77 Prozent aller Patienten die Stammzell-Transplantation und wurden so zum großen Teil von ihrer Krankheit geheilt, nämlich 64 Prozent mit Leukämien und 88 Prozent mit nicht bösartigen Erkrankungen.
„Der Versuch, krankes Knochenmark gezielter zu zerstören als mittels einer Chemotherapie oder einer Ganzkörperbestrahlung und damit die Nebenwirkungen deutlich zu reduzieren, kann als gelungen bezeichnet werden, bilanziert Dr. Ansgar Schulz das Ergebnis der Studie. Für das zweite Ziel der Untersuchung aber, nämlich Rückfälle zu verhindern, seien die Daten noch zu gering für eine gesicherte Aussage. „Wir wollen die Therapie auf jeden Fall weiter entwickeln und insbesondere bei den Kindern und Jugendlichen einsetzen, denen man eine normale Transplantation nicht zumuten kann“, sagt der Wissenschaftler. Erforderlich sei nun eine weitere Studie mit mehreren Zentren und zusätzlichen Patienten. Überdies soll die Methode auch anderen Kliniken zugänglich gemacht werden. Schulz: „Das Interesse daran ist schon jetzt groß.“
An der Publikation beteiligt waren neben Dr. Ansgar Schulz aus Ulm Dr. Manfred Hönig, Dr. Catharina Schütz, Dr. Susanne Gatz, Simon Grewendorf, Dr. Monika Sparber-Sauer, Professor Klaus-Michael Debatin, Professor Wilhelm Friedrich (alle Kinderklinik), Rainer Muche (Institut für Biometrie), Professor Donald Bunjes (Innere Medizin III) sowie Professor Gerhard Glatting und Professor Sven Reske (Nuklearmedizin). Beiträge lieferten ferner Dr. Gebriele Kropshofer (Universitätsklinik Innsbruck) und Professor Meinolf Suttorp von der Universitätskinderklinik Dresden.
Von Willi Baur

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