Preis für Ulmer Medzinstudenten

8. December 2015

„Arzt“ steht auf der grauen Zimmertür im zweiten Stock des DRK-Übernachtungsheims in der Frauenstraße. Doch Ärzte sucht man in der alle zwei Wochen donnerstags zwischen 18 und 20 Uhr stattfindenden „Medinetz-Sprechstunde“ vergebens. Die Patienten, die den Weg dorthin finden, allesamt Menschen auf der Schattenseite des Lebens, werden von jeweils zwei Medizinstudenten behandelt – wobei man streng genommen nicht von Behandlung oder Therapie sprechen darf. Die ist aus juristischen Gründen approbierten Ärzten vorbehalten.
Es ist ein In-Augenschein-Nehmen, ein Zuhören, ein erstes Durchchecken und bei Bedarf ein Weitervermitteln an kooperierende Ärzte, sagt Robin Schöttke. Der 21-Jährige studiert an der Uni im dritten Semester Medizin und engagiert sich als einer von derzeit 15 Aktiven im Verein Medinetz Ulm, einer 2009 gegründeten studentischen Initiative zur ärztlichen Versorgung von Menschen ohne Papiere und ohne Krankenversicherung. Die meisten dieser Patienten trauen sich nicht in eine reguläre Arztpraxis. Beim Besuch der Sprechstunde im Ulmer Obdachlosenheim ist die Hemmschwelle dagegen gering. Kein Papierkram, keine Frage nach der Versichertenkarte.
Dafür, dass er semestermäßig ein Greenhorn ist, hat Schöttke schon einiges erlebt. Zu jeder Sprechstunde kommen zwei bis vier Patienten, vom Tippelbruder bis zum abgelehnten Asylbewerber, erzählt er. Da war etwa die Schwangere aus Südosteuropa. In ihrem Heimatland besorgte sie sich ein für sie wichtiges Blutgerinnungsmittel in der Apotheke. Doch in Deutschland braucht man dafür ein Rezept. Das konnten die Medinetzler der jungen Frau nach Rücksprache mit einem Arzt vermitteln.
Zuletzt ging es um einen Patienten ohne Aufenthaltserlaubnis. „Ein Illegalisierter“, sagt Schöttke, der das Wort „Illegaler“ vermeiden möchte. „Es gibt keine illegalen Menschen.“ Der Mann muss sich dringend einem chirurgischen Eingriff unterziehen. „Krankenhäuser sind es gewohnt, alles abzurechnen und sie haben Angst, auf den Kosten sitzenzubleiben.“ Medinetz habe es geschafft, den Patienten an die Uni-Klinik zu vermitteln, wo er operiert werden kann. Der Verein bürgt für ihn. Die geschätzten Kosten von 3000 Euro werden über Spenden finanziert, sagt Schöttke.
Seit fast sechs Jahren engagieren sich die Studenten neben ihrem Vorlesungs- und Prüfungsstress ehrenamtlich, oft mehrere Stunden täglich, denn auch Netzwerken und Öffentlichkeitsarbeit kosten Zeit. Dass Medinetz Ulm ausgerechnet jetzt den mit 5000 Euro dotierten Sonderpreis des baden-württembergischen Landeslehrpreises verliehen bekommen hat, ist wohl auch ein Stück weit ein Politikum. Wissenschaftsministerin Theresia Bauer (Grüne) hatte die Auszeichnung für „Herausragendes studentisches Engagement bei der Unterstützung von Flüchtlingen“ in diesem Jahr erstmals ausgelobt. Die Ulmer hatten sich auf Initiative ihres Studiendekans Prof. Tobias Böckers kurzfristig „auf einer DIN A 4-Seite“ beworben – und den Zuschlag bekommen. „Wir waren selbst ein bisschen überrascht“, sagt Undine Birke, die seit fünf Jahren im Verein aktiv ist und drei Jahre im Vorstand tätig war. Kürzlich hat sie ihr Medizinstudium abgeschlossen und fängt demnächst als Assistenzärztin am Uni-Klinikum Leipzig an. Auch dort gibt es wie in etwa 30 weiteren deutschen Städten ein Medinetz, in dem sich die 27-Jährige künftig weiter engagieren will.
Das Preisgeld kann Medinetz Ulm gut gebrauchen, der Verein finanziert sich fast ausschließlich über Mitgliedsbeiträge und Spenden. Von der Ulmer Bürgerstiftung gab es bereits zweimal finanzielle Unterstützung, auch von der Aktion 100 000 und Ulmer helft. Das Geld ist notwendig, denn auch wenn drei Dutzend Ärzte aus dem Raum Ulm honorarfreie Behandlung anbieten, so fallen doch immer noch Sach- oder Laborkosten an.
Wünsche? „Als ärztliche Partner fehlen uns Orthopäden, Chirurgen, Urologen und Psychiater oder Psychologen“, sagt Birke. Prinzipiell müsse man nicht mal Medizinstudent sein, um sich bei Medinetz zu engagieren. „Pressearbeit oder E-Mails beantworten – das kann man genauso gut als angehender Informatiker oder als Lehramtsstudent machen.“ Denn Medinetz gehe es nicht nur allein um medizinische Hilfsleistungen, sondern auch darum, ein gesellschaftliches Bewusstsein für die gesundheitspolitische Problematik zu sensibilisieren. „Eigentlich sollte die Versorgung Nichtversicherter nicht von Ehrenamtlichen geleistet werden, sondern Aufgabe des Staates sein.“
Uni gratuliert: Beeindruckend, wegweisend, ermutigend
Über den dotierten Sonderpreis des baden-württembergischen Landeslehrpreises für die Ulmer Medizinstudenten freut sich auch die Vizepräsidentin für Lehre und Internationales an der Uni Ulm, Prof. Irene Bouw: „Die Mitglieder von Medinetz treten in bemerkenswerter Weise für den Gedanken ein, dass jedem Menschen – unabhängig von Aufenthalts- und Versichertenstatus – ärztliche Hilfe zustehen muss.“ Dieses ehrenamtliche Wirken komme nicht nur den erkrankten Personen, sondern auch den Studenten selbst zugute, da sie durch ihr Engagement wertvolle Erfahrungen sammeln, so die Vizepräsidentin. Für Prof. Tobias Böckers, Studiendekan für Humanmedizin an der Universität Ulm, ist die Initiative „beeindruckend, wegweisend und ermutigend“.

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Preis für Ulmer Medzinstudenten

Jeder Mensch hat ein Recht auf medizinische Versorgung. Nach diesem Grundsatz hilft der Verein Medinetz Ulm Obdachlosen oder Kranken ohne Aufenthaltserlaubnis. Dafür haben die Studenten einen Preis bekommen.

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Die Uni-Studenten von Medinet haben einen Preis für ihre medizinische Versorgung von Bedürftigen bekommen.
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