Der berühmteste Ulmer, Albert Einstein, gilt als einer der Gründungsväter der modernen Physik. Insbesondere seine allgemeine und spezielle Relativitätstheorie sowie seine grundlegenden Beiträge zur Quantenmechanik wirken bis heute nach. Dabei haderte das Jahrhundertgenie zeitlebens mit den philosophischen Konsequenzen der Quantenmechanik. Jetzt nehmen Physiker aus Einsteins Geburtsstadt Ulm und aus Hannover die Herausforderung an, die Schnittstellen beider Theorien zu untersuchen. Dazu haben sie sich das berühmte, aus der Relativitätstheorie abgeleitete, Zwillingsparadoxon ausgesucht. In der Fachzeitschrift „Science Advances" haben die Forschenden nun die theoretische Vorarbeit zu einem Experiment veröffentlicht, mit dem eine quantenmechanische Variante des Zwillingsparadoxons überprüft werden kann. Umsetzen lässt sich das Experiment in einer 10 Meter hohen Atomfontäne, wie sie gerade in Hannover entsteht.
Gedankenexperiment dreht sich um ein Zwillingspaar
Eine der fundamentalen Herausforderungen der Physik ist die Vereinigung von Einsteins Relativitätstheorie und der Quantenmechanik. Die Notwendigkeit, diese beiden Säulen der modernen Physik kritisch zu hinterfragen, ergibt sich zum Beispiel aus extrem energiereichen Ereignissen im Kosmos, die sich bisher nur durch jeweils eine, nicht aber beide Theorien im Einklang erklären lassen. Daher fahnden Forschende weltweit nach Abweichungen von den Gesetzen der Quantenmechanik und der Relativitätstheorie, die Einblick in eine neue Physik eröffnen könnten.
Für die aktuelle Publikation haben sich Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der Universitäten Ulm und Hannover das aus Einsteins spezieller Relativitätstheorie bekannte Zwillingsparadoxon vorgenommen. Dieses Gedankenexperiment dreht sich um ein Zwillingspaar: Während ein Bruder ins Weltall reist, bleibt der andere auf der Erde zurück. Für eine gewisse Zeit bewegen sich die Zwillinge also auf unterschiedlichen Bahnen im Raum. Treffen sich die beiden wieder, ist die Überraschung groß: Der Zwilling, der durchs All gereist ist, ist deutlich weniger gealtert als sein daheim gebliebener Bruder. Dieses Phänomen erklärt sich durch die von Einstein beschriebene Zeitdilation: Abhängig davon, mit welcher Geschwindigkeit und wo im Schwerefeld sich zwei Uhren relativ zueinander bewegen, ticken sie unterschiedlich schnell.
Für die Veröffentlichung in „Science Advances" sind die Autorinnen und Autoren von einer quantenmechanischen Version des Zwillingsparadoxons mit nur einem „Zwilling" ausgegangen. Dank des Überlagerungsprinzips der Quantenmechanik kann sich dieser zeitgleich auf zwei Pfaden bewegen. Im Gedankenexperiment der Forschenden wird der Zwilling durch eine Atomuhr repräsentiert. „Solche Uhren nutzen die Quanteneigenschaften von Atomen, um Zeit hochgenau zu messen. Die Atomuhr ist also selbst ein quantenmechanisches Objekt, und kann sich aufgrund des Überlagerungsprinzips auf zwei Wegen gleichzeitig durch die Raumzeit bewegen. Gemeinsam mit Kollegen aus Hannover haben wir untersucht, wie sich diese Situation im Experiment umsetzen lässt", erläutert Dr. Enno Giese, Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Ulmer Institut für Quantenphysik. Hierzu haben die Forschenden auf Basis eines quantenphysikalischen Modells erstmals einen experimentellen Aufbau für dieses Szenario entwickelt.
Überprüfung relativistischer Effekte
Eine wesentliche Rolle spielt hierbei die 10 Meter hohe „Atomfontäne", die derzeit an der Universität Hannover entsteht. Anhand von Quantenobjekten wie der Atomuhr können die Forschenden in diesem Atominterferometer relativistische Effekte überprüfen – so auch die im Zwillingsparadoxon beschriebene Zeitdilation. „In einem Experiment würden wir eine Atomuhr in das Interferometer schicken. Die entscheidende Frage lautet dann: Unter welchen Umständen lässt sich nach dem Versuch, bei dem sich die Uhr ja auf zwei Bahnen gleichzeitig befindet, ein Zeitunterschied feststellen?", erläutert Sina Loriani vom Institut für Quantenoptik der Universität Hannover.