Die Region zwischen Alb und Bodensee samt Bayerisch-Schwaben und Ostwürttemberg braucht als starke Wirtschaftsregion mit hohem Energiebedarf Stromleitungen und Wasserstoffversorgung sowie Investitions- und Planungssicherheit. Dies ist das Fazit einer länderübergreifenden Expertenrunde in Ulm mit Spitzenvertretern aus Wirtschaft, Wissenschaft sowie der Bundesnetzagentur und der Fernleitungs- und Verteilnetzbetreiber.
In dem Wasserstoff-Spitzengespräch der Industrie- und Handelskammern (IHKs) Bodensee-Oberschwaben, Ulm, Ostwürttemberg und Schwaben über den Markthochlauf der Wasserstoff- und Brennstoffzellentechnologie standen die Wasserstoffversorgung und die Versorgungsinfrastruktur für die Region im Mittelpunkt – vor allem mit Blick auf den Planungsstand der Bundesnetzagentur für ein überregionales Wasserstoff-Kernnetz bis zum Jahr 2032, der von den Fernleitungsnetzbetreibern im Juli dieses Jahres veröffentlicht worden ist. Das Wasserstoff-Kernnetz bildet als erste Ausbaustufe das Grundgerüst der künftigen Wasserstoff-Infrastruktur und soll die Entwicklung der Wasserstoffmärkte in Deutschland ermöglichen und fördern, indem es die zentralen Wasserstoffquellen mit den wesentlichen Verbrauchsschwerpunkten und Wasserstoffspeichern verbinde.
Wasserstoff spiele in der Energiewende eine zentrale Rolle – als Energieträger und Speichermedium, sagte Professor Dr. Markus Hölzle vom Ulmer Zentrum für Sonnenenergie und Wasserstoff-Forschung (ZSW) in seinem Impulsvortrag. Wasserstoff habe das Potenzial, Stromerzeugung, Verkehr und Wärme zu dekarbonisieren. Er könne dazu dienen, grünen Strom aus erneuerbaren Quellen zu speichern und fossile Energieträger wie Kohle, Erdgas und Erdöl zu ersetzen. „Wir brauchen ein Medium, das in großen Mengen erneuerbaren Strom speichern kann“, sagte er und verwies auf das Fehlen von Solarstrom bei Nacht oder ganzen Tagen ohne Wind. „Die Wasserstoff-Technologie dafür ist da und sie ist sogar Made in Germany“, betonte er. Während Batteriespeicher einzelne Stunden überbrücken könne, kann Wasserstoff den Energiebedarf Deutschlands für Tage und Wochen speichern.
Viele offene Fragen
In der Diskussion wurde deutlich, dass der regionalen Wirtschaft vor allem Planungssicherheit und verwertbare Daten oder zuverlässige Informationsplattformen fehlen: Es gebe keine einheitliche Strategie, keine Details und keine realistischen Zahlen. Auch an klaren Aussagen zur dezentralen Herstellung und Verfügbarkeit von Wasserstoff, zur Versorgungssicherheit sowie zu Netz- und Energiekosten mangle es. Gebäude baue man auf der Basis eines soliden Untergrunds, beim Wasserstoff beginne man in der 17. Etage, nach unten fehle bislang alles, lautete die Kritik. Fragen wie: „Was kostet Wasserstoff?“ oder: „Wann steht er zur Verfügung?“ stünden im leeren Raum. Häufig in der Diskussion vergessen werde auch, dass Projekte wie Elektrolyseanlagen zur Herstellung von Wasserstoff oder auch Wasserstofftankstellen einen zusätzlichen Flächenbedarf verursachten. Vor allem auch die Verteilnetzbetreiber seien oft bei der großen strategischen Planung noch außen vor, brächten den Wasserstoff allerdings zum Endkunden und seien daher dringend einzubinden.
Die Wirtschaftsvertreter mahnten zudem eine verständlichere und aussagekräftige Kommunikation an. „Bitte bedenken Sie, was beim Kunden ankommt und ob dieser es versteht“, lautete der Appell der Runde in Richtung Politik. In vielen Betrieben, großen wie kleinen, gebe es bislang keinen Zugang zum Thema Wasserstoffwirtschaft und den Folgen für das eigene Unternehmen. Vielmehr bestünde zunehmend die Gefahr, dass Unternehmen angesichts der vielen Fragezeichen ins Ausland abwandern, da sie ihre Wettbewerbsfähigkeit und Versorgungssicherheit hierzulande aufgrund vieler offener Fragen in Gefahr sehen.
„Wir sind nicht im Fokus, was Wasserstoff angeht, aber wir brauchen ihn dringend“
Zu den wichtigsten Forderungen der vier Regionen, die einerseits eine starke Industrie, andererseits eine Lage im Süden Deutschlands verbindet, gehört folgerichtig ein frühzeitiger Anschluss an das nationale und europäische Wasserstoffnetz. Gerade bei dem großen Infrastrukturprojekt, das der Aus- und teilweise Neubau des Netzes darstellt, seien den Kammern zufolge rechtliche und finanzielle Unsicherheiten schon jetzt zu verringern. Auch im Bereich der Verteilnetze, die den Wasserstoff dann bis zu den Unternehmen bringen, fehlt es hieran jedoch noch: Es genügt nicht, einfach das Gas- auf ein Wasserstoffnetz umzustellen, vielmehr sei es aktuell nötig, dafür eine neue Konzession zu beantragen. Die IHKs sehen hier Potential zum Abbau von überflüssiger Bürokratie.
Hinsichtlich der Umstellung bei den Unternehmen läuft zudem gerade jetzt die heiße Phase für Investitionen in die neue Technologie, die verbleibenden etwa 20 Jahre bis zur angestrebten CO2-Neutralität in der Bundesrepublik, Baden-Württemberg und Bayern entsprechen genau einem Investitionszyklus. Hier mahnen die IHKs und die Unternehmer die Politik dazu, endlich eine verbindliche, gemeinsame Strategie über alle Ressorts zu schaffen, auf die sich die Unternehmen dann auch verlassen können.
Auch international sei die Bundesregierung, gegebenenfalls auf europäischer Ebene, gefragt, die Versorgungssicherheit sicherzustellen. Aufgrund der nur eingeschränkten Möglichkeit, grünen Strom aus Wind und Sonne in Deutschland zu erzeugen, bleibt Deutschland auch mittelfristig Energie-Importland. Vor allem Süddeutschland trifft dies aufgrund der starken Industrie. Strategische Partnerschaften und Lieferketten, aber auch die Speicherkapazitäten sollen daher nach den Forderungen aus der Wirtschaft bereits jetzt aufgebaut werden, zeitgleich mit einer Förderung einheimischer Forschung und Entwicklung in dem Bereich, um insbesondere im Bereich der Elektrolyseure die aktuelle Führungsposition der hiesigen Industrie nicht zu verlieren.
Das Thema Wasserstoff werde in den nächsten Jahren zunehmend aktuell und wichtiger werden, sagte Moderatorin Silke Frank, Vizepräsidentin des Deutschen Wasserstoff- und Brennstoffzellen-Verbandes e.V. (DWV) aus Berlin. Abschließend fasste Dr. Jan Stefan Roell, Präsident der IHK Ulm die Ergebnisse des Gipfels kurz und prägnant zusammen: „Wir brauchen dringend eine stärkere Fokussierung auf die Infrastruktur für die Versorgung mit wettbewerbsfähigem grünem Wasserstoff.“